Essener Bürger müssen unter Waffenvorhalt amerikanischer Soldaten mit bloßen Händen die verfaulten Leichen der exekutierten Zwangsarbeiter aus dem Montagsloch graben (Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung)
Der Historiker Dr. Ernst Schmidt stellte 1999 in einem Vortrag in der Alten Synagoge einen extrem brutalen Fall polizeilicher Gewalt vor. Zu Kriegsende, im März 1945, also wenige Tage vor der Einnahme Essens durch amerikanische Truppen erschossen Beamte der Essener Gestapo und der Kriminalpolizei 35 Zwangsarbeiter aus Osteuropa.
Anordnung der „Sonderbehandlung“ für Zwangsarbeiter
Im Winter 1944 / 45 lebten im Bereich der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf, zu der auch Essen gehörte, rund 250.000 ausländische Zwangarbeiter, 70 % davon aus Osteuropa. Auf eine bereits 1943 erteilte Weisung des „Reichsführers der SS und Chef der deutschen Polizei“, Heinrich Himmler, war für Verstöße jedweder Art, die durch Zwangsarbeiter begangen wurden, nun die Polizei zuständig. Die Gerichte sollten für die Verurteilung und Bestrafung dieser Menschen nur noch dann bemüht werden, wenn es die Polizei im Einzelfall ausdrücklich vorschlug. Am 27.8.43 hatte der Reichsjustizminister seine Zustimmung zu dieser Rechtsbeugung dem Oberreichsanwalt und den Generalstaatsanwälten mitgeteilt. Im Januar 1945, nach dem Vordringen der Alliierten aus dem Westen richteten der Inspekteur der Sicherheitspolizei Dr. Albath und der Höhere SS und Polizeiführer Gutenberger, der bis 1941 in Essen Polizeipräsident gewesen war, eine Anregung an das Reichssicherheitshauptamt, „Sonderbehandlungen“ an Zwangsarbeitern – gemeint war damit nichts anderes als die Vollstreckung von Todesurteilen – den Gestapo-Leitstellen zu übertragen. Für dieses Vorgehen wurde vom Reichssicherheitshauptamt grünes Licht gegeben. In der Weisung des Amtes wurde noch verfügt, dass „Sonderbehandlungen“ größerer Personengruppen möglichst nicht öffentlich, sonder „stillschweigend durch Erschießen“ stattfinden sollten.
Durch die Bombenangriffe der Alliierten auf das Ruhrgebiet verloren viele Zwangsarbeiter ihre Arbeitsplätze und auch ihre Unterkünfte, so dass sie nun im Kampf ums Überleben durch die Städte irrten und sich im Wesentlichen von Diebstählen ernährten. Teilweise kam es auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, wobei auch die obdachlosen Zwangsarbeiter mitunter Waffen einsetzten.
Das illegale Standgericht der Gestapo
Ende Februar saßen im hoffnungslos überfüllten Essener Polizeigefängnis 38 Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion ein. Der damalige Polizeipräsident Henze forderte vom Leiter der Gestapo-Außenstelle Essen, Kriminalrat Peter Nohles, eine „Lösung des Problems“ ein. In der Folge formierten sich der Leiter der Düsseldorfer Gestapo-Leitstelle, Oberregierungsrat Hans Henschke, sein Stellvertreter Regierungsrat Dr. Keil sowie Nohles zu einem Standgericht und verurteilten 35 der im Gefängnis sitzenden Russen kurzerhand zum Tode durch Erschießen. Die Vollstreckung der Erschießungen wurde Kriminalrat Nohles übertragen.
Am 12.3.45 und in den drauffolgenden Tagen wurden die Exekutionen der Menschen vorgenommen. Als Ort wurde das so genannte „Montagsloch“, ein Areal zwischen der Lührmannstraße und der Gruga, ausgewählt. Ein Kommando aus Gestapo- und sonstigen Polizeibeamten sorgte für eine weiträumige Absperrung des Geländes, ein zweites Kommando war für den Transport der Gefangenen zum Montagsloch zuständig.
Sinnloses Töten auf den letzten Drücker
Mit der Ausführung der Erschießungen wurde der 34jährige Kriminaloberassistent der Essener Polizei, Franz Paschen, beauftragt. Da er sich am ersten Tag – wie er später vor Gericht erklärte – verspätet hatte, sorgte bereits ein anderer Polizist vor seinem Eintreffen für die ersten Hinrichtungen. Neben Nohles und Paschen waren auch Polizeipräsident Henze sowie die Gestapo- und Polizeibeamten Günter Bovensiepen, Hans Giesen, Hermann Wiesensee, Karl Vetter, Peter Spenrath, Christian Kennerknecht, Karl Hüning, Eugen Stratmann und Albert Müller sowie vier weitere, namentlich nicht bekannte Beamte mit den Exekutionen befasst. Ein Arzt für die Feststellung des Todes der Zwangsarbeiter wurde zu den Erschießungen gar nicht erst hinzugezogen.
An den Exekutionstagen führte man die Todeskandidaten, deren Hände mit Fernsprechkabeln auf den Rücken gebunden waren, einzeln vor Bombentrichter, erschoss sie mit jeweils einem Schuss, warf sie in die Trichter und verscharrte sie unter Erdreich. Nach einer Vernehmungsaussage von Nohles nach seiner Festnahme durch die Alliierten am 30.5.45 war unter den Erschossenen auch eine Frau.
Bürger müssen verfaulte Leichen mit bloßen Händen bergen
Ende April wurden mehrere Deutsche, die mit der Angelegenheit nichts zu tun hatten, von mit Knüppeln bewaffneten Polen und amerikanischen Soldaten auf der Straße aufgegriffen und gezwungen, die inzwischen stark verwesten Leichen aus den nassen Erdlöchern zu holen und eigenhändig zu begraben. Der 15jährige Friseurlehrling Herbert Fries, der Straßenbahner Otto Steinhauer, der Organist Karl Hub und weitere Personen wurden unter Beschimpfungen und Bedrohungen zum Montagsloch getrieben und mussten mit Schaufeln und teils mit bloßen Händen die Gräber für die Erschossenen ausheben, während von den Polen und den Amerikanern immer wieder über ihre Köpfe hinweg geschossen wurde. Unter den unfreiwilligen Totengräbern waren auch der noch amtierende Oberbürgermeister Dr. Russell sowie 40 weitere städtische Angestellte gewesen, die man zu diesem Zweck zusammengetrieben und mit Lastwagen zu der Hinrichtungsstätte gefahren hatte.
Das Montagsloch befindet sich auf dem Gelände des heutigen Gruga-Parks. An dem Ort des Massengrabes erinnert heute eine Gedenktafel an dieses Ereignis der letzten Kriegswochen.
In einem Vortrag zum "Montagsloch" am 19. Oktober 1999 beschreibt der Essener Stadthistoriker und ehemalige Nazi-Verfolgte Dr. Ernst Schmidt die Geschehnisse am Montagsloch im Jahr 1945, hellt aber auch die Hintergründe zu den Akteuren dieser Bluttat und dem justiziellen Umgang mit diesem Verbrechen auf.
Der vorliegende Buchbeitrag befasst sich mit Ausgrabungen am Montagsloch im Jahr 2021 und einem späten, wenn auch vergeblichen Versuch, weiteres Licht in die Hinrichtungen durch die Essener Kripo und die Essener Gestapo zu bringen.
Der vorliegende Vermerk der Staatsanwaltschaft Essen aus dem Jahr 1960 fasst die polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen rund um die Ermordung von 35 Zwangsarbeitern und die Verstrickung der Polizei in diese Tötungen zusammen (mit freundlicher Überlassung durch den Essener Stadthistoriker Ernst Schmidt und das Stadtarchiv Essen im Jahr 2008)
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